Sieben Eigenschaften machen den Unterschied
In der heute vorherrschenden VUCA-Welt, kommt es auf gut funktionierende Teams an. Und mit Teams sind nicht Arbeitsgruppen gemeint, die zufällig räumlich beieinander sitzen und mittags gemeinsam zum Essen gehen, sondern echte Teams, die ein gemeinsames Ziel haben und dieses auch nur gemeinschaftlich erreichen können. So, wie zum Beispiel auch Teams in Mannschaftssportarten.
Es wird auch viel über die Zusammenstellung solcher Teams gesprochen und über die Art der Führung, die ein solches Team benötigt. Cross-funktional sollen sie sein und selbstorganisiert, eingebettet in möglichst flache Hierarchien. Und vielerorts bleiben fragende Gesichter zurück, wenn es auf das Thema “Führung” in einem solchen Team zu sprechen kommt. Funktioniert Selbstorganisation überhaupt? Braucht man noch einen Vorgesetzten?
Die erfolgreichsten Teams der Welt
Ganz passend zu diesem Thema bin ich auf ein Buch gestoßen von Sam Walker [Walker, 2017], seines Zeichens Sportjournalist beim Wall Street Journal. Walker ist der Frage nachgegangen, was ein hochperformantes Team auszeichnet, und ob es dort Muster zu erkennen gibt. Dafür hat er sich so ziemlich jedes Team in der Welt des Sports angeschaut, das Titel gewonnen hat. Dabei legte er nachvollziehbare und möglichst objektive Kriterien vor. Die Mannschaften mussten aus mindestens fünf Mitgliedern bestehen, mit dem Gegner interagieren und als Team zusammenarbeiten um erfolgreich zu sein. Durch diese Kriterien sind zum Beispiel Golf-Teams oder Tennis-Mannschaften aus der Betrachtung gerutscht. Desweiteren musste das Team in einem populären Sport beheimatet sein, also nicht in einer Nische, wo es wenig Konkurrenz gibt. Bezüglich Konkurrenz musste auch die Möglichkeit bestehen, sich mit anderen großen Mannschaften zu messen. Und zuletzt musste das Team über Jahre hinaus erfolgreich sein (4-5 Jahre) um vereinzelte Ausreißer zu eliminieren.
Bei der Auswertung fand er dann 16 Mannschaften, die er in Rang 1 einordnete und knapp über 100 weitere für Rang 2, von denen die meisten nicht in Rang 1 aufgenommen wurden, weil sie entweder nicht die Möglichkeiten hatten, sich mit anderen großen Teams zu messen, oder aber es andere Teams in ihrer Sportart gab, die noch bessere Leistungen erzielt hatten .
Diese 16 Teams aus Rang 1 untersuchte er genauer und versuchte herauszufinden, ob es zwischen diesen Teams eine Gemeinsamkeit gebe, auf die man den Erfolg zurückführen könnte. So hatten viele der gefundenen Teams einen Spieler, der das Attribut “Greatest of all times” (GOAT) verdient hätte, wie zum Beispiel die Mannschaft des FC Barcelona mit Lionel Messi oder die Nationalelf Ungarns mit Puskas. Aber es gab auch Mannschaften in Rang 1, die keine herausragenden Spieler hatten. Noch nicht einmal das vorhandene Talent im Team war in manchen Mannschaften besonders hoch. Und im Gegenzug gab es Mannschaften, die voller Ausnahmekönner waren, wie zum Beispiel das Real Madrid von 2000-2007, auch bekannt als die Galacticos, die es aber nicht in Rang 1 geschafft hatten. Man könnte weiterhin annehmen, dass finanzielle Mittel einen entsprechenden Unterschied machten, aber ausser Barcelona waren viele Mannschaften in ihren erfolgreichsten Zeiten sogar ganz knapp bei Kasse. Auch das Management, also die Funktionäre, waren nicht das Alleinstellungsmerkmal, was die vom Regime geführten Nationalteams im Damenvolleyball aus Kuba und die Nationalelf aus Ungarn klar belegten.
Tatsächlich stellte sich heraus, dass es eine Führung der Mannschaft auf anderer Ebene war, die in allen Teams von Rang 1 zu finden war. Und das überraschende war, nicht der Trainer war diese Führungspersönlichkeit, auch, wenn das naheliegend wäre. Walker fand durch Auswertung von Statistiken und Heranziehen von Forschungsarbeiten heraus, dass die Entscheidungen eines Trainers maximal zwei gewonnene Spiele mehr in einer Saison bewirken und nur 14% aller Trainer die Leistung ihrer Spieler anhoben (während die anderen gleichbleibend oder sogar schlechter wurden). Und wenn der Effekt des Trainers größer wäre, dann würden sich auch Trainerwechsel deutlich mehr auszahlen, als es statistisch tatsächlich nachweisbar ist. Zur eigenen Überraschung fand Sam Walker heraus, dass die erfolgreichen Zeiten der Teams in Rang 1 alle sehr eng verbunden waren mit dem Auftreten und Abtreten von einer Spielerpersönlichkeit in der Mannschaft, und in allen 16 Teams war dieser Spieler früher oder später der Kapitän des Teams.
Die Kapitäne
Walker war erst skeptisch, denn bei genauerer Betrachtung der 16 Kapitäne wollte das nicht so wirklich in sein Bild von guter Führung passen. Bis auf ganz wenige Ausnahmen besaßen die 16 Kapitäne kein Superstar-Talent, sondern waren eher schwacher Durchschnitt. Man fand sie auch kaum im Scheinwerferlicht und sie waren es auch nicht, die für die Teams die Kohlen aus dem Feuer holten und Spiele, die auf der Kippe standen, im Alleingang drehen konnten. Es handelte sich auch nicht gerade um Engel und viele der Kapitäne sind für Aktionen bekannt, die als provokant und grenzwertig gelten. Aber wie er es auch drehte und wendete, die Kapitäne waren der einzige gemeinsame Nenner aller Teams in Rang 1. Und nachdem er alle alternativen Erklärungsansätze ausgeschlossen hatte, ging er dem Geheimnis dieser Elite-Captains nach und fand sieben Verhaltensweisen, die er bei allen 16 Kapitänen finden konnte, und die den Unterschied zu den Teams in Rang 2 ausmachten.
1. Extreme Verbissenheit und Fokus
Carles Puyol, der Kapitän des FC Barcelona von 2008-2013, war nicht mit dem großen Talent versehen. Aber er arbeitete hart an sich und warf immer alles in die Waagschale, was möglich war. So erarbeitete er sich erst einen Platz in einer Mannschaft, in der alle Spieler um ihn herum ein höheres Talent hatten, und wurde schließlich ihr Kapitän und Anführer auf dem Platz. Er ging als Vorbild voran und forderte die gleiche Einstellung auch von seinen Mannschaftskollegen. Selbst bei einem fast sicheren Sieg trieb er seine Nebenleute an, nicht nachzulassen. Ein drei zu null Vorsprung war nicht genug. Wenn die Kollegen anfingen, sich zurückzunehmen oder den Gegner nicht mehr ernst nahmen, trat Puyol auf den Plan. Soziales Faulenzen war keine Option. Und diese Eigenschaft teilte er mit den anderen Kapitänen aus Rang 1.
2. Aggressives Vorgehen, das die Grenzen austestet
Ein weiteres Merkmal, dass alle Elite-Captains gemeinsam hatten, war ihre Art und Weise, die Regeln des Spiels bis an die Grenzen auszutesten. Sei es ein übertrieben hartes Spiel am Rande des Platzverweises, um dem Gegner den Spaß zu nehmen, Beleidigungstiraden über das Volleyballnetz hinweg um die Gegnerinnen zu verwirren, oder die geheime Absprache mit dem Zeugwart, um die Bälle mit weniger Luft aufzupumpen, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Die Kapitäne aus Rang 1 testeten viel aus, um am Ende siegreich zu sein. Dabei war ihnen das Ziel wichtiger, als ihr eigener Ruf. Was die Welt über sie dachte, war ihnen egal. Allerdings taten sie alles immer nur, um das Ziel zu erreichen, nicht um andere zu verletzen und im Rahmen der Regeln. Die meisten der Kapitäne zeigten neben dem Platz ein komplett anderes Gesicht und setzten andere moralische Maßstäbe an sich selbst, als während des Wettkampfs. Während sie auf dem Platz die Atmosphäre oft aufheizten und den Gegner beschimpften und bearbeiteten, waren sie beim Verlassen des Feldes oftmals diejenigen, die sich für ein Abkühlen der Gemüter einsetzten und die anderen beruhigten.
3. Bereitschaft, undankbare Aufgaben im Schatten anderer zu erledigen
Heutzutage wird der Starspieler und das Team oft gleichgesetzt. Barcelona ist Messi, Juventus ist Ronaldo. Die Kapitäne der Top Teams waren aber keine Starspieler, sondern eher Wasserträger. Sie haben sich der Gruppe untergeordnet und die Drecksarbeit für die Stars gemacht. Auf diese Weise haben sie sich die moralische Autorität erarbeitet, in schwierigen Momenten die Mannschaft zu führen und in eine Richtung zu lenken. Dadurch entstand auch eine Abhängigkeit, denn ein Zidane konnte auch nur so glänzen, weil Didier Deschamps (zwar nicht in Rang 1, aber er führte gleich zwei Mannschaften in Rang 2) nahezu jeden erkämpften Ball auf den Superstar spielte. So zeigte sich, dass die einfachste Art, das Team zu führen, war, dem Team zu dienen.
4. Ein einfacher, praktischer und demokratischer Kommunikationsstil
Die 16 Kapitäne waren keine begnadeten Rhetoriker, ja teilweise sogar unterirdisch in ihren Interviews. Im Rampenlicht stehen war nicht ihr Ding. Aber hinter verschlossenen Türen, innerhalb der Mannschaft, sorgten sie für viel Kommunikation und sprachen viel. Sie etablierten eine demokratische Kommunikationsstruktur und achteten darauf, dass alle zu Wort kamen und sich einbrachten. Dies unterstrichen sie durch ihre Direktheit, ihre einfachen Worte und ihr körpersprachliches Auftreten.
5. Motivation von anderen durch leidenschaftliche Taten
Die Verbindungen zwischen Menschen entstehen nicht nur durch Gespräche und Worte. Auch Taten und Aktionen zum richtigen Zeitpunkt stellen Verbundenheit her. Es eint die Kapitäne der Rang-1 Teams, dass sie vor wichtigen und wegweisenden Ereignissen Dinge getan haben, die auf den ersten Blick bizarr, dramatisch oder verrückt erschienen, das Team aber zusammenschweißten und besser machten. Sei es das Einführen eines alten Kriegstanzes bei den All Blacks oder das Anzetteln einer wilden Prügelei auf dem Eis bei den Canadiens. Der weitere Verlauf der Ereignisse zeigte, dass es wichtige Impulse waren, um das Team an die Spitze zu führen.
6. Starke Überzeugungen und den Mut, im Abseits zu stehen
Um die sehr empfindliche Teamdynamik wissend, die bei Hochleistungsteams schon bei kleinsten Erschütterungen das ganze Konstrukt zum Einsturz bringen kann, versuchen Verantwortliche jede Art von Konflikt so weit es geht aus dem Team herauszuhalten und Störenfriede zu entfernen. Alle 16 Kapitäne aus Rang 1 haben vorsätzlich und wiederholt Konflikte bewusst in Teams hineingetragen, was ihnen auch Sanktionen und Ärger einbrachte. Allerdings handelte es sich dabei stets um Konflikte, die dazu dienten, das Team gegenüber äußeren Einflüssen zu verteidigen, oder die Missstände innerhalb des Teams beheben sollten. Sie waren stets aufgabenorientiert und niemals persönlicher Natur. Viele dieser Aktionen hatten negative Konsequenzen für die Kapitäne, die den Mut besaßen und diesen aushielten und für die bessere Zukunft des Teams in Kauf nahmen.
7. Eiserne emotionale Kontrolle
Natürlich nutzten die Kapitäne auch Emotionen um das Team zu führen. In negativen und schwierigen Situationen und bei emotionalen Tiefschlägen besaßen sie aber eine eiserne Kontrolle über ihre eigenen Emotionen. Sie waren in der Lage, Provokationen zu ignorieren und wichtige Spiele zu bestreiten, obwohl erschütternde private Situationen eingetreten waren oder schmerzvolle Verletzungen vorlagen. Und nicht nur das, diese Situationen machten sie sogar noch besser. Nicht jeder der Kapitäne besaß diese Eigenschaft schon zu Beginn der Karriere, aber alle Elite-Captains entwickelten sie im Laufe der Zeit, teilweise sehr bewusst durch die Praktizierung von Achtsamkeit und Meditation.
Die Wahrnehmung von Außen
Diese sieben Eigenschaften stellte das Grundgerüst dar, auf dem die Erfolge der Rang-1 Teams basierten. Walker stellt dies sehr schön an einigen Schlüsselmomenten dar. Die Kapitäne mögen sich in ihrem Charakter und ihrer Persönlichkeit stark unterscheiden, aber diese sieben Eigenschaften hatten sie alle gemeinsam.
Besonders spannend ist auch die Betrachtung von ein paar Gegenbeispielen zu den Elite-Captains. So mag es manchen Leser verwundern, warum Michael Jordan, Kapitän der überaus erfolgreichen Chicago Bulls und vielleicht bester Basketballer aller Zeiten, es nur in Rang 2 geschafft hat. Jordan fehlten einige der Verhaltensweisen der Elite-Captains. Er war der Star des Spiels und stand auch gerne im Mittelpunkt, diente nicht der Mannschaft und sein Kommunikationsstil war offensiv und teilweise auch aggressiv. Im Gegensatz zu den 16 Kapitänen aus Rang 1 legte er sehr großen Wert darauf, wie er gesehen wurde und wollte der Welt etwas beweisen. Der große Erfolg der Bulls kam erst mit der Ankunft seines Co-Kapitäns Bill Cartwright, der diese Eigenschaften besaß. Dennoch wird bis heute Michael Jordan als der Anführer der erfolgreichen Bulls schlechthin gesehen.
Ein anderes Beispiel ist Roy Keane, stellvertretend für alle Aggressive Leaders auf dem Platz. Heute hört man noch oft Fans sagen, dass ihre Mannschaft einen Kapitän wie Keane brauche, der auch mal hart zur Sache gehe. Im Gegensatz zu den Kapitänen aus Rang 1 war Keane aber nicht nur auf dem Platz aggressiv, sondern auch daneben, hatte nicht die emotionale Stabilität wie die Elite-Captains. Während diese auch sehr bewusst und voller Absicht agierten, war das bei Keane nicht der Fall. Im Gegensatz zu den Elite-Captains machte er nicht den Unterschied aus.
Allerdings haben die beiden genannten Beispiele in dem Ansehen der Sportfans eine viel höhere Sichtbarkeit und gelten als Prototyp eines Führungsspielers. Dies birgt einige Probleme, besonders, wenn Trainer einen Kapitän ernennen und nach den falschen Eigenschaften suchen. Zusammen mit den aktuellen Trends, Superstars das Kapitänsamt zu geben, um dadurch noch mehr mediale Präsenz zu generieren oder Erwartungshaltungen zu erfüllen (“Gesicht des Vereins”) oder um Loyalität sicherzustellen (“Verbundenheit durch Verantwortung”) führt dies oft dazu, dass die Führung eher schwach ist und Erfolg ausbleibt.
Die Erkenntnisse, die Walker in seinem Buch teilt, sind sicherlich nicht auf den Sport beschränkt. In Ansätzen deutet er das auch selbst hier und dort einmal kurz an, ohne ins Detail zu gehen. In einem folgenden Blogbeitrag möchte ich versuchen eine Brücke zu schlagen und die Erkenntnisse der erfolgreichsten Teams aus der Welt des Sports auf die Teams der Arbeitswelt übertragen.
Referenzen
Walker, Sam; 2017; The Captain Class, The hidden force that creates the world’s greatest teams, Random House Trade Paperbacks; Auflage: Reprint (1. Mai 2018)
One Response
Sehr gut! Viele der beschriebenen Eigenschaften decken sich mit meiner (subjektiven) Wahrnehmung. Eindrucksvoll!