Was der Umgang mit Remote Arbeit über Unternehmen verrät
In seinem Blog “Führung erfahren” hat Marcus Raitner zu einer Blogparade zum Thema #remoteworks aufgerufen. In den vergangenen Wochen und Monaten sind sehr viele von uns aus den Bürogebäuden in die Heimarbeit umgezogen. In der Blogparade werden unter anderem Erfahrungen, Herausforderungen, Lösungen und zukünftige Herangehensweisen für die Zeit nach der akuten Krise beschrieben. In diesem Rahmen habe ich mir auch einmal ein paar Gedanken gemacht und möchte in meinem Beitrag zu der Blogparade den Umgang mit Remotearbeit aus Sicht unterschiedlicher Evolutionsstufen von Unternehmen beleuchten.
Im Laufe der Geschichte haben Menschen gelernt, dass sie, um zu überleben, zusammenarbeiten müssen. Aus anfänglichen Kleingruppen in Familien und Stämmen entstanden so immer komplexere Organisationsformen. Diese erlaubten es den Menschen, immer anspruchsvollere Ziele zu verfolgen.
Der Pate und Remotearbeit
Die ersten Organisationsformen waren noch recht einfach gestrickt und dienten in erster Line dem Überleben. Ein starker Anführer erkämpfte sich die Führung und seine Autorität wurde fortan selten angezweifelt. Diese Organisationsform ist heute nur noch selten zu finden. Am ehesten findet man sie in extremen Kontexten, wie Kriegsgebieten oder feindlichen Umgebungen. Ein Beispiel könnte eine Straßengang oder eine Mafiaorganisation sein.
Stellt euch nun einmal vor, die Tür zum Büro des Paten geht auf und hinein kommen seine besten Jungs und fragen, ob sie wohl für absehbare Zeit ins Home Office wechseln dürften. Eine Reaktion darauf würde wahrscheinlich so aussehen:
Tribale Organisationen, wie eine Mafiaorganisation, basieren darauf, dass der starke Anführer direkten Zugriff auf seine Untergebenen hat. Mit wachsender Distanz schwindet die Angst und damit auch die Autorität. Daher können diese Organisationen auch nur eine geringe Größe annehmen. Die Arbeit aus dem Home Office würde die Mitarbeiter weit von der Autoritätsperson entfernen. Dadurch sinkt die Kontrolle. Und weil Führung auf Macht gegründet ist, hat der Pate Angst davor, dass seine Leute sich gegen ihn verschwören oder abwandern. Remotearbeit ist also in einer solchen Organisation schlichtweg undenkbar. Glücklicherweise haben wir es heute ja so gut wie gar nicht mehr mit dieser Form einer Organisation zu tun.
Remote-Bürokratie?
Bald entstand eine neue Form der Organisation. Diese war in der Lage, viele Menschen zu kontrollieren, auch wenn die Distanz zum Anführer größer wurde. Diese Organisationen setzten auf klare Hierarchien, die durch formale Rollen und festgelegte Prozesse sichergestellt wurden. An der Spitze war der Monarch, der seine Minister und seine Generäle unter sich hatte. Diese wiederum standen an der Spitze weiterer Strukturen. Jede Rolle hatte eine klare Aufgabe und es gab eine Befehlskette, die eingehalten werden musste. Je höher jemand in der Hierarchie stand, desto mehr Mittel hatte er, um diejenigen unter sich zu bestrafen oder zu belohnen.
Solche Organisationsformen eroberten Kontinente und ermöglichten großen Fortschritt für die Menschen. Auch heute gibt es noch einige Organisationen, die auf diesen Grundsätzen basieren. So zum Beispiel Schulen, Kirchen oder einige Ämter. Stellt euch vor, wie Behörden darauf reagieren, wenn Mitarbeiter auf die Idee kommen, Home Office machen zu wollen. Während ich mir die Antworten des Paten im vorherigen Abschnitt noch ausgedacht habe, entspringen die folgenden Aussagen nicht meiner Phantasie:
Mitarbeiter kommen sich mitunter vor wie Asterix und Obelix, als sie auf der Suche nach Passagierschein A38 waren, im “Haus, das verrückte macht”. Traditionelle Organisationen sind nicht besonders flexibel. Sie sind perfekt ausgerichtet für die vorhandenen Prozesse, aber alles neue und andersartige stellt sie vor Herausforderungen und macht mitunter sogar Angst. Remotearbeit ist nicht mehr direkt kontrollierbar. Vielleicht verletzen rebellische oder faule Mitarbeiter die vorgegebenen Prozesse?
So lange die Leistung stimmt…
Der unflexible Umgang mit Veränderung wurde zunehmend ein Problem für die traditionellen hierarchischen Strukturen. So verwundert es nicht, dass auch hier die Entwicklung voran schritt und wir heute nur noch sehr wenige traditionelle Organisationen oder monarchische Gesellschaften sehen.
Ein großes gesellschaftliches Problem der traditionellen Organisationen bestand darin, dass sie kaum Aufstiegsmöglichkeiten boten. Oftmals wurden Positionen vererbt (Königshäuser) oder ein Aufstieg erfolgte durch die Länge der zeitlichen Zugehörigkeit (Beamtenwesen). Das neue Paradigma der Leistungsgesellschaft, das vielgepriesene “vom Tellerwäscher zum Millionär”, brachte die moderne Organisation hervor. Hier gab es zwar auch noch Hierarchien, allerdings konnten Leistungsträger schnell aufsteigen. Die Führung wechselte von einer Aufgabendelegation zu einer Verantwortungsdelegation, die durch Methoden des Managements, wie zum Beispiel Zielvereinbarungen, verankert wurde. Wenn hier die Mitarbeiter auf die Idee kommen, von zu Hause zu arbeiten, so steht hauptsächlich das Ergebnis im Mittelpunkt.
Mit Hilfe von Metriken und Abstimmungen wird sichergestellt, dass die Unternehmensziele nicht gefährdet sind. Aufgrund der noch immer vorhandenen pyramidalen Struktur kann es hier allerdings bei vielen (vor allem klassischen) Führungskräften zu Angst vor Kontrollverlust kommen.
Der menschliche Faktor
In den letzten Jahrzehnten haben viele moderne Organisationen festgestellt, dass die immer schnellere und komplexere Umwelt eine noch höhere Anpassungsfähigkeit erfordert. Startups und kleine, bewegliche Unternehmen verändern das Marktumfeld. Viele moderne Unternehmen haben daher Transformationen durchgeführt oder eingeleitet, die sie agiler machen sollen.
Bei agilen Unternehmen und Startups stehen oft Werte wie Kooperation, Akzeptanz der Andersartigkeit, Augenhöhe, Harmonie und Konsens im Fokus. Oftmals streben diese Organisationen nach flachen Hierarchien und Selbstorganisation. Da hier die zwischenmenschlichen Beziehungen im Wertesystem sehr wichtig angesehen werden, spielen sie natürlich auch eine große Rolle, wenn es um die Frage nach Heimarbeit geht:
Postmoderne, agile Unternehmen sind somit anpassungsfähiger in Krisensituationen. Sie setzen auch bei Remotearbeit auf Teamwork und Kollaboration. In den vergangenen Monaten konnte man dies zum Beispiel bei vielen Community-Events beobachten, die schnell von physischen Meetups zu virtuellen Zusammenkünften gewechselt sind und dabei sehr schnell gelernt und sich angepasst haben. Dabei vernetzen sich bundesweit die Organisatoren und Teilnehmer, helfen sich mit Good Practices und Erfahrungen weiter und bieten sich Accounts für Videokonferenz-Tools an. Auch die Solidarität unter den Freelancern ist unglaublich. Hier spiegeln sich die Werte dieses “grünen” Mems deutlich wieder.
Ein Blick in die Zukunft
Die Evolution der Organisationsformen treibt auch schon weitere Blüten. Hier ist es mir allerdings nur möglich einen Blick in eine mögliche Zukunft zu werfen, da ich kein “evolutionäres” oder “Teal”-Unternehmen aus eigener Erfahrung kenne. Frederic Laloux beschreibt einige Beispiele in seinem Bestseller “Reinventing Organisations”. Basierend darauf und auf den Werten des gelben (oder bei Laloux “teal”) Mems, würde die Reaktion auf die Frage nach Remotearbeit voraussichtlich wie folgt aussehen:
#remoteworks
Hier endet die kleine Reise durch die Zeit und durch unterschiedliche Organisationsformen. Auch, wenn meine Filterblase durch die agilen Unternehmen um mich herum geprägt ist, sehe ich in meinem Umfeld auch einige traditionelle Unternehmen, die erkennen, dass es Zeit ist für eine Entwicklung und den Mitarbeitern Remotearbeit ermöglichen. Zu Beginn mit Widerstand, nur für Risikogruppen, dann etwas offener für vereinzelte Interessenten. Krisen sind eben auch oftmals ein Impuls zur Veränderung und zum Wachstum. Natürlich ist die Situation vielschichtig und hat viel mehr Aspekte als nur Remotearbeit. Aber wenn wir eins in den letzten Wochen gelernt haben, dann das Remotearbeit funktioniert. Sie ist anders als klassische Zusammenarbeit, aber irgendwie doch gleich. Zwei Seiten einer Medaille, die es nun gilt, besser zu verstehen. Wir finden täglich neue Lösungen, um die soziale Distanz zu reduzieren, lernen unsere Werkzeuge und Techniken besser kennen. Wir tauschen uns aus, wie man Großgruppenmoderationen oder Workshops im virtuellen Raum gestaltet und wie wir unterschiedliche Persönlichkeitstypen ansprechen und einbeziehen können. Und wir sehen, dass wir noch viele Herausforderungen vor uns haben, bis wir überall so gut sind, wie bei physischer Anwesenheit. Aber dort haben wir schließlich auch Jahre lang geübt. Hätten wir uns genau so um die verteilte Zusammenarbeit gekümmert, wenn wir nicht dazu gezwungen worden wären? Wahrscheinlich nicht in diesem Ausmaß. Von daher, machen wir das beste draus!
Quellen
- Reinventing Organizations, Frederic Laloux
- Spiral Dynamics, Don Edward Beck, Christopher Cowan
- Ich-Entwicklung für effektives Beraten, Thomas Binder
- Eine kurze Geschichte des Kosmos, Ken Wilber
Titelbild: Bild von Picography auf Pixabay