Gibt es ein Product Owner Mindset?
Kürzlich durfte ich Gast im sehr empfehlenswerten Podcast der Produktwerker sein. Hier sprechen Dominique, Oli und Tim regelmäßig über spannende Themen, die besonders für Product Owner interessant sein dürften. Für mich war es der erste Ausflug in die Welt der Podcasts und entsprechend nervös war ich auch zu Beginn der Aufnahme. Die Aufregung legte sich jedoch recht schnell, denn schon bald war ich gemeinsam mit Tim mitten in der Diskussion, ob es so etwas wie ein “Product Owner Mindset” gibt, und wenn ja, wie dieses aussehen könnte.
Was ist eigentlich Mindset?
Der Begriff “Mindset” wird in der agilen Community sehr kontrovers diskutiert. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass oft ein “falsches Mindset” für das Scheitern von Transformationsprozessen verantwortlich gemacht wird. Oder schlimmer noch, die einzigartige Persönlichkeit von Menschen in Frage gestellt oder sogar abgewertet wird, wenn sie nicht dem “agilen Mindset” entspricht.
Daher ist es zunächst einmal wichtig, den abstrakten Begriff “Mindset” zu klären. Mein Versuch einer Definition lautet dabei wie folgt:
Ein Mindset ist ein Selbst- und Weltbild, das beschreibt, welche Handlungsoptionen einem Menschen in einer Situation zur Verfügung stehen. Es zeigt sich in einer emotionalen Bewertung, Reflexion auf Basis von Werten und Einstellungen, sowie den daraus abgeleiteten Handlungen.
Wenn ich über Mindset spreche, dann gehe ich von der oben gegebenen Definition aus, die gewisse Grundannahmen ausdrückt:
- Mindset ist ein Dreiklang aus Fühlen (emotionale Bewertung), Denken (rationale Bewertung) und Handlen (beobachtbares Verhalten).
- Jeder Mensch hat ein Mindset
- Das Selbst- und Weltbild ist individuell und beschreibt die individuelle Realität (Konstruktivismus)
Gibt es das”richtige” Mindset?
Auf der Suche nach der Antwort auf die Frage, ob es ein Product Owner Mindset gibt, kommt man irgendwann an der Frage vorbei, ob es das”richtige” oder “falsche” Mindset gibt. Aber was ist richtig oder falsch, wenn wir die oben stehende Definition zugrunde legen? Der Dreiklang aus fühlen, denken und handeln ist sehr individuell. Der konstruktivistische Gedanke geht davon aus, dass jeder sich seine Realität selbst konstruiert, basierend auf gemachten Erfahrungen und persönlichen Werten. Eine Bewertung des Mindsets in Kategorien wie richtig oder falsch ergibt daher keinen Sinn.
Allerdings könnte man danach fragen, ob ein Mindset für einen Kontext oder eine Aufgabe passend oder eher weniger passend ist. Im komplexen Umfeld ist ein Mindset, das nach Feedback sucht und offen für Veränderung ist, sicherlich passender als ein Mindset, das nach Perfektion und Planbarkeit strebt. In komplizierten Umgebungen sieht das aber vielleicht ganz anders aus.
Am Beispiel des “agilen Mindset” wird auch eine andere Problematik deutlich, die man in der Diskussion allzu oft vernachlässigt: wir können immer nur das Verhalten beobachten. Wenn wir von einem Dreiklang aus Fühlen, Denken und Handeln ausgehen, dann ist das beobachtbare Verhalten lediglich die Spitze des Mindset-Eisbergs. Man fühlt sich an das Eisberg-Kulturmodell erinnert. Wenn wir aber nicht wissen, woher ein bestimmtes Verhalten stammt (Gefühle, Ängste, Werte, Erfahrungen, …), dann können wir eigentlich auch kein Urteil darüber treffen, wie das zugrunde liegende Mindset aussieht. Ein Mindset, das in Verhalten mündet, das als agil bezeichnet werden kann, ist daher nicht automatisch gleichzusetzen mit “dem agilen Mindset”, sondern stellt ein “zum agilen Umfeld passendes Mindset” dar. Das “agile Mindset” – the one and only – gibt es also (nach meiner Definition) nicht, sondern es gibt viele Mindsets, die zum agilen Kontext passen (oder eben nicht).
Ein passendes Mindset für Product Owner
Die Rolle des Product Owner ist eine sehr herausfordernde Rolle. Der PO muss unter anderem eine motivierende Vision transportieren, unterschiedliche Interessensgruppen balancieren, langfristig planen können, enthusiastisch sein Produkt bewerben und gleichzeitig kritisch alle Verbesserungsoptionen aufspüren können. Ist jemand in der Lage, ein Verhalten zu zeigen, dass diese Anforderungen erfüllt, dann bringt er wohl ein passendes Mindset für die Product Owner Rolle mit (die, wie ihr von Tim im Podcast erfahren könnt, aber auch sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann). Wir können also, analog zum agilen Mindset, von einem passenden Product Owner Mindset sprechen, wenn wir die Herausforderungen der Rolle betrachten.
Mindset und Persönlichkeitsentwicklung
Die Anforderungen für die Rolle sind schon recht hoch, wie man leicht sehen kann. Nun kommt eine weitere Komponente hinzu, die ich in meiner Definition von Mindset mit einbeziehe: die zur Verfügung stehenden Handlungsoptionen. Aus der Entwicklungspsychologie wissen wir, dass die Entwicklung nicht mit Eintritt in das Erwachsenenalter abgeschlossen ist. Menschen können sich ihr Leben lang weiterentwickeln und mit jeder neuen Entwicklungsstufe gewinnen Sie auch größere Handlungsoptionen. Gängige Modelle, die das verdeutlichen sind zum Beispiel die Ich-Entwicklung nach Loevinger, Spiral Dynamics oder das integrale Modell von Ken Wilber.
Je komplexer eine Umwelt wird, desto höhere Anforderungen stellt sie an die handelnden Personen. Je weiter die Persönlichkeit entwickelt ist, desto leichter kann man sich den erhöhten Anforderungen anpassen, kann also auf größere Handlungsoptionen zurückgreifen. Wenn wir das beherzigen, dann können wir sehen, das die Product Owner Rolle deutlich leichter auszufüllen ist, wenn man eine reife und entwickelte Persönlichkeit mitbringt. Dies ist aber kein Ausschlusskriterium, denn die Rolle kann auch die Persönlichkeitsentwicklung fördern und beschleunigen, da sie hohe Anforderungen an die Verhaltensweisen stellt.
Was fördert ein passendes Product Owner Mindset?
Am Ende zwei Tipps für (angehende) Product Owner, die helfen, die Handlungsoptionen zu mehren:
1. Möglichst viele unterschiedliche Perspektiven einnehmen.
Tim hat es im Gespräch wunderschön ausgedrückt: “Als Product Owner musst du, wenn du über dein Produkt redest, brennen, als wenn du der größte Fan wärst. Wenn du aber zuhörst, dann musst du der größte Kritiker sein.” Je leichter dieser Perspektivwechsel fällt, desto besser. Versucht doch auch einmal die Walt Disney Technik (Träumer, Kritiker, Realist), die ihr noch durch weitere Rollen und Perspektiven erweitern könnt.
2. Den Kontext wahrnehmen und einbeziehen
Der Kontext und die Situation spielen zumeist eine größere Rolle, als wir es zunächst annehmen. Je bewusster diese Kontextabhängigkeit von Entscheidungen und Ursachen sind, desto leichter fällt der Umgang mit komplexen Umgebungen. Auch die Erkenntnis, dass es oft kein “richtig” oder “falsch” gibt, gehört zu dieser Übung.
Den Link zur Podcastfolge zum Nachhören findet ihr hier: https://produktwerker.de/das-product-owner-mindset/
Bild: Bruno /Germany auf Pixabay